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Wohnraumberatung in Zeiten von Corona – Ein Einblick aus Tübingen

Wohnraumberatung in Zeiten von Corona

Ein Einblick aus Tübingen

Im Winter letzten Jahres haben wir bereits vom Start des Tübinger Beratungsangebots „Haben Sie noch Platz?“ berichtet. Die ersten Monate der Beratung sind nun geschafft, einige Beratungsgespräche geführt und die ersten Erfahrungen – pandemiebedingt unter besonderen Umständen – gesammelt. Zeit ein erstes Zwischenfazit zu ziehen.

 

Die ersten Beratungsgespräche im Oktober konnten noch – mit entsprechenden Schutzmaßnahmen – bei den Beratenen vor Ort beziehungsweise im Technischen Rathaus in Tübingen stattfinden. Mit der Verschärfung der Coronamaßnahmen im November war allerdings auch das nicht mehr möglich, weshalb ab diesem Zeitpunkt die Beratungsgespräche ausschließlich online oder telefonisch angeboten werden konnten. Da im ersten Beratungsgespräch in der Regel grundlegende Dinge zum Beratungsanliegen besprochen werden, war das eine praktikable Lösung, nur vereinzelt war die telefonische bzw. digitale Alternative nicht gewünscht. Stattdessen erklärten sich die Eigentümer:innen bereit zu warten, bis wieder persönliche Termine stattfinden können.

 

Für die architektonische Erstberatung, die in Kooperation mit der Architektenkammergruppe Tübingen angeboten wird, waren die verschärften Coronamaßnahmen eine weitaus größere Herausforderung.

 

Über den Jahreswechsel wurden die Architekturberatungen vorerst ausgesetzt, in der Hoffnung Anfang 2021 baldmöglichst wieder vor Ort Termine anbieten zu können. Nachdem allerdings auch zum Jahresanfang die Infektionszahlen auf hohem Niveau stagnierten und gleichzeitig der Bedarf an architektonischen Beratungen stieg, wurde auch für die Architekturberatung eine digitale Alternative angeboten, die allerdings nur in einem Fall genutzt wurde. Dabei handelte es sich um ein Wohnhaus in der Tübinger Altstadt, wo – wegen der dort geltenden Stadtbildsatzung – besondere baurechtliche Richtlinien erfüllt werden müssen, die u.a. von der Umgebung und der baulichen Beschaffenheit des Gebäudes abhängen. Beides konnte digital nur in Grenzen geprüft werden. Hinzu kommt, dass die gemeinsame Begehung der Räumlichkeiten mit dem Architekten/der Architektin für die Beratenen ein wichtiger Aspekt ist, der durch das digitale Format wegfiel. Es war also schnell klar, dass die Architekturberatung, sobald es das Infektionsgeschehen zulässt, wieder persönlich angeboten werden sollte. Die Gelegenheit dafür bot sich mit dem Start des Tübinger Modellprojekts „Öffnen mit Sicherheit“ und dem parallelen Ausbau der Testkapazitäten. 

Bildnachweis: Hannah Kindler
Bildnachweis: Hannah Kindler

Seit März finden nun wieder persönliche Architekturberatungen statt. Folgende Maßnahmen werden vor und während der Beratung ergriffen, um das Infektionsrisiko für alle Beteiligten so weit wie möglich zu reduzieren: Am Morgen des Beratungstags führen alle Beteiligten einen Corona-Schnelltest durch, der im Rahmen von „Haben Sie noch Platz?“ zur Verfügung gestellt und von der OptiWohn-Projektmitarbeiterin bei den Beteiligten vor Ort vorgenommen wird. Ist das Ergebnis aller Tests negativ, findet im Verlauf des Tages die Beratung statt. Während der Beratung wird auf die Einhaltung der Abstandsregeln und die Lüftung in den besichtigten Räumen geachtet. Darüber hinaus tragen alle Beteiligten eine medizinische Maske.

Rückblickend kann festgehalten werden, dass vor allem bei der Architekturberatung Termine vor Ort einem digitalen Format vorzuziehen sind.

Sollte in Zeiten von Corona allerdings nur eine digitale Beratung möglich sein, kann diese unter bestimmten Voraussetzung trotzdem eine sinnvolle Alternative sein: Wenn die Verzögerung des Umbaus nicht gewünscht bzw. nicht möglich ist. Wenn davon auszugehen ist, dass für das betreffende Gebiet keine baurechtlichen Sonderregeln gelten und außerdem eine ausreichende Plangrundlage vorhanden ist. Im Idealfall sind das neben aktuellen Grundrissen auch Schnitte und Ansichten des Gebäudes.

Darüber hinaus konnten trotz der Corona-Pandemie bereits viele Beratungsgespräche geführt werden, die erste Erkenntnisse darüber gebracht haben, wen „Haben Sie noch Platz?“ erreicht und mit welchen Anliegen sich diese Personen an die Stadt wenden:

  • Diejenigen, die das Beratungsangebot wahrnehmen beschäftigen sich fast ausschließlich vorsorgend mit dem Thema Wohnen im Alter.
  • Generell überwiegt der Wunsch im Alter das eigene Zuhause nicht verlassen zu müssen. Dementsprechend ist ein Umzug nur in wenigen Beratungsfällen, und in der Regel nur unter der Voraussetzung eines hohen Pflegebedarfs, denkbar. Daraus ergibt sich ein genereller Beratungsschwerpunkt zu den Themen Um- bzw. Ausbau.
  • Gemeinschaftliche Wohnformen spielen in der Beratung eher eine untergeordnete Rolle. Sie werden von manchen Eigentümer:innen zwar nicht kategorisch ausgeschlossen, allerdings sind sie nur in sehr wenigen Fällen ausdrücklich gewünscht. Lediglich in zwei Beratungsfällen ist das gemeinschaftliche Wohnen das vorrangige Ziel.
  • Das Beratungsangebot erreicht Personen unterschiedlichen Alters und in verschiedenen Lebensphasen. Dazu zählen Personen während und nach der Familienphase, Angehörige, Wohnraumeigentümer:innen, die den Wohnraum selbst bewohnen oder vermieten und Eigentümer:innen von Gewerbeflächen, die zukünftig für das Wohnen genutzt werden sollen.
  • Die Kombination aus einer kostenlosen architektonischen Erstberatung und der Beratung zu passenden Förderprogrammen zeigt sich bisher als besonders geeignet, um Eigentümer:innen von Wohn- oder Gewerbeflächen für das Beratungsangebot „Haben Sie noch Platz?“ zu gewinnen.
  • Die baurechtlichen Rahmenbedingungen können sich – beispielsweise durch die Begrenzung der maximal zulässigen Wohnungen je Gebäude – als limitierender Faktor bezüglich der Optimierung der Flächeneffizienz herausstellen.

In den nächsten Monaten wird sich nun zeigen, ob sich diese Tendenzen bestätigen.

Weitere Informationen zu „Haben Sie noch Platz?“ gibt es hier.


Autorin:

Hannah Kindler

Hannah Kindler ist Stadtplanerin, Geographin und Mitarbeiterin bei den Beauftragten für Wohnraum und barrierefreies Bauen der Universitätsstadt Tübingen, wo sie das Projekt OptiWohn bearbeitet.